Gemeinsam jeden Antisemitismus bekämpfen –ohne Henkel
Warum das Antifaschistische Berliner Bündnis gegen den Al-Quds Tag dieses Jahr nicht am George-Grosz-Platz sprechen wird
Die Geschichte des Protestes gegen den regelmäßig stattfindenden antisemitischen Aufmarsch in Deutschland ist beinahe so lang wie die des Quds-Marsches in Berlin selbst. Neben vor allem jüdischen Institutionen, antisemitismuskritischer Zivilgesellschaft und Parteien beteiligten sich auch immer wieder antifaschistische und linksradikale Gruppen in unterschiedlicher Weise an den Gegenaktivitäten. Dass die Zusammenarbeit zwischen linksradikalen, antifaschistischen Gruppen einerseits und Parteien und Zivilgesellschaft andererseits keine konfliktfreie sein kann, ist weder ein Geheimnis noch eine Überraschung. Denn sie findet immer im Spannungsfeld von notwendiger emanzipatorischer Islamismus-Kritik, antimuslimischem Rassismus, pro-israelischer Staatsraison und grundlegender Staatskritik statt. Dennoch haben wir, seit wir uns 2010 als Bündnis zusammenschlossen, mit dem „Bündnis gegen den Quds-Marsch“ (im Folgenden: bürgerliches Bündnis) stets konstruktiv zusammengearbeitet. Zu dieser Zusammenarbeit gehörte in den vergangenen Jahren auch, dass ein_e Sprecher_in unseres Bündnisses ein Grußwort an die Teilnehmer_innen der bürgerlichen Kundgebung richtete. Davon haben wir in diesem Jahr Abstand genommen. Grund dafür ist die Einladung des bürgerlichen Bündnisses an CDU-Innensenators Frank Henkel, auf deren Demonstration zu sprechen.
Diese Veröffentlichung ist ein unmissverständliches Signal der Ablehnung der Entscheidung Henkel einzuladen und nicht konsequent gegen Rechtspopulist*innen vorzugehen. Wir halten ihn nicht nur in seiner Funktion als Innensenator, oder als Vorsitzenden des CDU-Landesverbands, für eine denkbar ungeeignete Person, um als glaubwürdiger Sprecher für die Bekämpfung von Antisemitismus aufzutreten. Wir möchten kurz erläutern warum.
Wie in politischen Sonntagsreden üblich, wird auch Frank Henkel in seiner Rede tief in den standardisierten Satzbaukausten greifen und Floskeln hervorholen, wonach der Quds-Marsch nicht in ein weltoffenes, tolerantes Berlin passe und das friedliche Zusammenleben in der Stadt bedrohe. So inhaltslos und beliebig diese Phrasen schon auf den ersten Blick wirken, so verlogen sind sie, wenn mensch sich vor Augen führt, wer sie spricht. Erst kürzlich prahlte der Innensenator in einem Interview damit, dass Berlin konsequent daran arbeite, die Abschiebezahlen zu erhöhen. Im gleichen Atemzug attackierte er die Unterstützer_innen geflüchteter Menschen in Berlin, die ihm einen Strich durch seine zynische Erfolgsbilanz machen. Was dies konkret bedeutet, zeigt der aktuelle Fall einer Familie, die nach Willen des Innensenators aus Neukölln abgeschoben werden soll. Inklusive der in Berlin geborenen und aufgewachsenen Kinder, die Aserbaidschan bisher noch nie zu Gesicht bekommen haben. Zwei Mal lehnte Henkel persönlich Härtefallanträge ab, die der Familie einen Aufenthaltsstatus ermöglicht hätten.
In diesem Zusammenhang müssen auch die aktuellen Geschehnisse in Friedrichshain kurz erwähnt werden. Ein polizeiliches Großaufgebot belagert dort nicht erst seit Mittwoch letzter Woche einen ganzen zum „Gefahrengebiet“ erklärten Kiez und drangsaliert die Bewohner_innen der Rigaer Straße. Henkels Law-and-Order Machtspiele zielen dabei nicht nur auf erkämpfte alternative Freiräume, sondern auf das Feindbild linke Politik insgesamt. Ein ranghoher Beamter von Henkels Polizei ließ sich in der BZ damit zitieren, dass die Maßnahmen Teil einer Strategie seien, Linke aus der Innenstadt zu verdrängen.
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang natürlich auch die Haltung Henkels und seiner Polizei, wenn es um die Bekämpfung von Antisemitismus geht. Mit vielen anderen Politker_innen hat er gemeinsam, dass es eher still wird, wenn es um klare Worte zum Antisemitismus bei Pegida, der AfD und bis hinein in bürgerliche Feuilletons geht. Eine große Rede soll nun aber geschwungen werden, wenn es um den Antisemitismus der vermeintlich „Anderen“ geht. Die vielfach widerlegte Mär der Feindschaft gegen Jüdinnen_Juden als Importphänomen bietet sich eben besonders an, wenn der Antisemitismus von der so genannten politischen Mitte der Bundesrepublik möglichst weit weggeschoben werden soll. Wie wenig sich bei der Bekämpfung des Antisemitismus in Berlin auf Henkels Polizei verlassen werden kann, hat sich in der Vergangenheit zu Genüge gezeigt. Erinnert sei an dieser Stelle beispielsweise daran, wie die Polizei bei der Verfolgung antisemitischer Parolen im Sommer 2014 regelrecht zum aktiv werden gedrängt werden musste, wenn sie denn den antisemitischen Mob nicht mit Parolen wie „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ ohne weiteres gewähren ließen. Im April 2015 musste auf Anweisung der Polizei hin bei einem Zweiteligaspiel zwischen FC Ingolstadt und der Union Berlin eine Israel-Fahne zur angeblichen „Gefahrenabwehr“ entfernt werden.
Zudem blieb Henkels Verwaltung tatenlos, als am 16. Oktober 2015 200 Antisemit*innen vor dem Bundeskanzlerinnen*amt Solidarität mit den Attentäter*innen der sogenannten 3. Intifada forderten. Zu diesem Zeitpunkt gab es jeden Tag Terrorangriffe auf Jüdinnen*Juden in Israel, vielen von ihnen starben dabei. Diese Versammlung wurde mit einer Karte beworben, auf dem der Staat Israel ausgelöscht war und ein bewaffneter antisemitischer Attentäter zu sehen war. Obwohl mit dieser Versammlung offen zur Ermordung jüdischer Israelis aufgerufen wurde, ging die von Henkel geführte Polizei nicht dagegen vor. Der Innensenator war sogar persönlich vor Ort und plauderte munter mit den Antisemit*innen vor dem Kanzlerinnen*amt. Ferner hat Henkel zu verantworten, dass am Jahrestag der Novemberpogrome antisemitische Reden zugelassen wurden, wie etwa bei der Bärgida-Demonstration im vergangenen Jahr. Bei eben dieser Demonstration genehmtige man eine Route vorbei an der 77 Jahre zuvor geschändeten, größten Synagoge der Stadt.
Auch die Zahlen sprechen für sich: Die antisemitischen Gewaltdelikten sind 2015 im Vergleich zu 2014 um 34% gestiegen. Die Recherche- und Informationstelle Antisemitismus Berlin (kurz RIAS) dokumentierte im Jahr 2015 rund 400 antisemitische Vorfälle und Übergriffe, von denen lediglich 183 in der Polizeistatistik auftauchen.
Ganz aktuell ließ Henkel im Wahlkampfmodus Symbole der Terrororganisation Hisbollah auf dem Al Quds-Tags-Marsch verbieten und versucht sich nun so bei der bürgerlichen Kundgebung zu profilieren. Die ganzen Jahre davor hatte er mit der antisemitischen Hisbollah kein Problem, die weltweit seit Jahrzehnten Jüdinnen*Juden bedroht und für viele Anschläge verantwortlich ist. In einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa zu Henkels Verbot der Symbole auf dem Aufmarsch, die von vielen Medien übernommen wurde, war übrigens zu lesen, dass die Hisbollah angeblich eine „linkextremistische“ Organisation sei. Eine Begründung, die für sich selbst spricht.
Diese Beispiele sind lediglich einige von vielen. Sie zeigen jedoch eindeutig, dass Henkel sich nicht glaubwürdig die Sicherheit jüdischer Berliner_innen auf die Fahne schreiben kann.
Das Antifaschistische Berliner Bündnis gegen den Al-Quds Tag ist vor sechs Jahren entstanden, um in den Protesten eine antifaschistische Position stark zu machen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass der Kampf gegen den Antisemitismus notwendigerweise auch ein Kampf gegen den (deutschen) Staat und die (deutsche) Nation sein muss. Auch wenn große Teile der radikalen Linken es vorziehen zu schweigen und zu Hause zu bleiben, oder gar selbst antizionistische Positionen vertreten, werden wir auch zukünftig dafür eintreten, eine ernsthafte emanzipatorische Perspektive sichtbar zu machen. Wer in seiner politischen Verantwortung nicht konsequent gegen Antisemitismus vorgeht, Geflüchtete abschiebt und linke Strukturen und Freiräume zerstören will, ist für uns kein Bündnispartner. Einen Persilschein für wahlkämpfende Innensenatoren wird es von uns nie geben.
Gemeinsam gegen jeden Antisemitismus & für eine befreite Gesellschaft!