Zur Staatsgründung Israels vor 63 Jahren

Redebeitrag der Emanzipative Antifaschistische Gruppe auf der Antifa-Demo gegen den Al Quds-Tag 2011

„Es ist mal wieder soweit. Israel hat Geburtstag! Da es schon lange nicht mehr genug ist, provokativ MAZAL TOV zu rufen, anzustoßen und Israel abzufeiern, möchten wir einige Fakten zur Staatsgründung mit euch teilen und vielleicht können wir ein paar Fragen beantworten, die sich jede_r schon gestellt hat.

63 Jahre Israel

Am 14. Mai 1948 rief der zionistische Politiker David Ben Gurion die Unabhängigkeit des neuen Staates Israel aus. Kurz zuvor hatte eine Vollversammlung der Vereinten Nationen mehrheitlich für die Teilung des Britischen Mandatsgebiets Palästina zwischen jüdischen und arabischen Einwohner_innen gestimmt. Begründet wurde dies wesentlich mit dem nazifaschistischen Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Dieses Verbrechen, das neben mehr als sechs Millionen toten Jüdinnen und Juden auch Hunderttausende jüdische Flüchtlinge zur Folge hatte, erfordere die Gründung eines jüdischen Nationalstaates als Heimstätte und Zufluchtsort für die Jüdinnen und Juden, so die Mehrheitsmeinung der U.N.. Unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung griffen die Streitkräfte aller umliegenden arabischen Staaten Israel militärisch an. Wie schon in den Jahren zuvor begingen beide Seiten fortan Kriegsverbrechen. Infolge der Auseinandersetzungen verließen hunderttausende Araber_innen ihre Wohnorte. Manche hatten allerdings nicht weniger Angst vor den arabischen Kämpfer_innen als vor den jüdischen. Viele wurden von den eigenen Anführern zur Flucht aufgefordert – die Flüchtlingsfrage sollte politischen Druck erzeugen. Während die arabische Bevölkerung in einigen Orten und Gebieten teilweise blutig vertrieben wurde, blieb sie in anderen da und hatte nichts zu befürchten. Bis heute leben 1.2 Millionen Araber_innen weitgehend friedlich in Israel.

Während der Tag der Unabhängigkeit heute in Israel als Nationalfeiertag gilt, markiert er für die Palästinenser_innen den Beginn ihrer Nakba (Katastrophe). Nach 63 Jahren und unzähligen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel auf der einen, den Palästinenser_innen, arabischen Staaten und Organisationen auf der anderen Seite ist der Nahe Osten bis heute ein Konfliktgebiet. Während Kriege und Genozide in Afrika oder Südostasien von den meisten Menschen nicht mal wahrgenommen werden, landet jeder Vorfall in Nahost sofort weltweit in der Presse.

Daher und weil sich ja auch so oft genug die Diskussion um dieses Thema dreht hier ein paar häufig gestellte und von uns beantwortete Fragen:

FAQ Israel

Wer kam eigentlich auf die Idee, in Palästina einen jüdischen Staat zu errichten?

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Europa der moderne Antisemitismus. Diese rassistische Form der Judenfeindschaft machte „die Juden“ für zahlreiche als negativ empfundene Merkmale der modernen Welt verantwortlich. Außerdem fanden damals blutige antijüdische Pogrome in Osteuropa statt. Als Reaktion darauf entwickelte sich die Idee, dass nur ein eigener Nationalstaat den jüdischen Menschen Sicherheit und Wohlergehen ermöglichen könnte. Die Intellektuellen um Theodor Herzl, Max Nordau, Leo Pinsker und viele andere waren die Gründer der in sich vielfach gespaltenen jüdischen Nationalbewegung, des Zionismus. Die Zionist_innen haben durch Ansiedlung, Aufbau von Wirtschaft und Strukturen sowie politischen und militärischen Kampf die Existenz Israels durchgesetzt.

Da haben die jüdischen Siedler_innen, die seit ca. 1882 einwanderten, also mit der arabischen Bevölkerung genau das gemacht, was die Europäer_innen in Amerika und Afrika getan haben – koloniale Eroberung, Unterwerfung und Vertreibung?

Im Unterschied zum europäischen Kolonialismus gab es bei Israel kein „Mutterland“, das mit Gewalt ein anderes Land unterwarf und ausplünderte. Vielmehr versuchte hier eine in Europa verfolgte Minderheit, sich eine Heimstätte zu schaffen. Untypisch für den Kolonialismus war auch, dass viele der frühen jüdischen Siedler_innen ihre arabischen Nachbar_innen zum Beispiel in Sachen Ernährung und Kleidung nachahmten. Es gab auf zionistischer Seite unterschiedlichste Vorstellungen zum Umgang mit den Araber_innen. Auf arabischer Seite waren durchaus Leute vertreten, die in den zionistischen Plänen eine Chance sahen und auf Zusammenarbeit setzten. Bis zur heutigen festgefahrenen Situation war es ein weiter Weg. Es gab viele Gelegenheiten, in denen alles auch ganz anders hätte kommen können. Allerdings gab es innerhalb des Zionismus in der Tat auch kolonialistische Vorstellungen und Vorgehensweisen.

Wenn ich in einem bereits bewohnten Land meinen eigenen Staat errichten will, muss mir doch klar sein, dass das nicht gut gehen wird, oder?

In dem Gebiet, das später Palästina hieß und wo sich heute Israel, das Westjordanland und Teile Jordaniens befinden, lebten Ende des 19. Jahrhunderts nur ca. 600.000 Menschen. Heute sind es über 20 Millionen. Ein reines Platzproblem ist der Nahostkonflikt also sicherlich nicht. Es gab immer und es gibt noch heute Möglichkeiten, den Konflikt friedlich zu lösen.

OK, die Jüdinnen und Juden sind vor dem europäischen Antisemitismus nach Palästina geflohen, später auch vor dem Völkermord der Nazis und vor Verfolgung und Diskriminierung in vielen anderen Ländern. Aber was konnten die Araber_innen für das alles? Hätte die zionistische Bewegung den Staat Israel nicht gerechterweise eher in Europa, zumal in Deutschland errichten müssen?

Das war aber unter den gegebenen Bedingungen nicht möglich. Wegen der historischen und religiösen Verbindung vieler Jüdinnen und Juden zu dem Land und der damit verbundenen 2000jährigen jüdischen Geschichte wurde dort das zionistische Projekt verwirklicht. Viele Staaten Europas waren selbst im Wissen der Vernichtung der Jüdinnen und Juden nicht willig, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Die internationalen Machtverhältnisse hätten eine Staatsgründung in Europa unmöglich gemacht.

Manche fordern: „Solidarität mit Israel“. Wieso sollte ich mit einem Staat solidarisch sein? Ich kann mich doch höchstens mit den sympathischen Leuten in Israel solidarisieren, aber nicht mit den dortigen Rechten, der Regierung, der Armee usw.

Bei der emanzipatorischen Israelsolidarität geht es darum, in einer Welt, in der Antisemitismus noch immer stark verbreitet ist, einen Schutz- und Zufluchtsort für Betroffene und Verfolgte zu unterstützen. Einen Zufluchtsort, der sich selbst beschützen kann und nicht auf die Gnade irgendwelcher Regierungen und nicht-jüdischer Mehrheiten angewiesen ist. Israelsolidarität heißt nicht, jede Aktion der israelischen Staatsorgane gut finden zu müssen.

Und wieso gibt es dann auch Israelsolidarität von rechtspopulistischen Parteien wie „Pro Deutschland“ sowie „Die Freiheit“ und auf dem rassistischen Blog „PI News“?

Solidaritätsbekundungen gegenüber Israel durch rechte Parteien haben in der Regel die Funktion einer Feindbildproduktion gegenüber Muslimen und dienen der Instrumentalisierung des Landes als Vorposten im Kampf gegen den Islam. Israelhaß und Antisemitismus ebenso wie Homophobie und Frauenunterdrückung nur in der arabischen Welt und bei muslimischen Einwander_innen ausmachen zu wollen, eignet sich hervorragend, um die weiter massive Verbreitung dieser Phänomene in der deutschen Mehrheitsbevölkerung auszublenden und antimuslimische Ressentiments sowie Rassismus zu schüren. Selbstredend mit dem Ziel, zu idealisieren und zu kulturalisieren. Dies geschieht dann nach dem üblichen Schema der „rückständige“ und „barbarische“ Islam bedrohe die vermeintlich fortschrittliche und aufgeklärte „westliche“ Staatengemeinschaft oder gleich das „jüdisch-christliche Abendland“.

Warum wird mir immer Antisemitismus vorgeworfen, wenn ich Israel kritisiere?

Sogenannte Israelkritik ist im Gegensatz zu England-, Iran- oder Mexikokritik das Lieblingshobby sehr vieler Menschen. Die wenigsten davon sehen sich jemals Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt. Das Problem ist, dass in dieser Israelkritik ständig alte antisemitische Vorurteile, maßlose Übertreibungen, krasse Einseitigkeit und Angriffe auf die schiere Existenz Israels zu beobachten sind. Nachdem sich der traditionelle Antisemitismus durch die Nazibarbarei unmöglich gemacht hat, tarnt er sich oft mit dem Deckmantel von Antizionismus und Israelkritik. Nichtsdestotrotz gibt es vieles, was an der israelischen Gesellschaft und Politik zu Recht kritisiert werden kann.

Israel ist doch der stärkere Part im Nahostkonflikt. Also ist doch Israel in erster Linie für das Scheitern aller aFriedensbemühungen verantwortlich, weil nur Israel die entscheidenden Zugeständnisse machen kann, oder?

Der Nahostkonflikt läuft nicht nur zwischen Israelis und Palästinenser_innen ab. Wichtige arabische und islamische Staaten wie zum Beispiel die Diktaturen Syrien und Iran wollen bis heute Israel nicht anerkennen und unterstützen terroristische, antisemitische Hardliner wie die palästinensische Hamas. Solche Hardliner verschaffen denjenigen Kräften in Israel, die gegen Zugeständnisse an die Palästinenser/innen sind, immer wieder Argumente. Der Frieden ist nicht in erster Linie eine Frage der Kräfteverhältnisse, sondern der politischen Mehrheiten auf beiden Seiten. Solange wichtige Teile der arabischen und islamischen Welt und nicht zuletzt der palästinensischen Gesellschaft Israel nicht anerkennen und seine Sicherheit bedrohen, wird eine Mehrheit der Israelis zu keinen wesentlichen Zugeständnissen bereit sein. Ohne solche Zugeständnisse werden aber auch die Palästinenser/innen keinen Frieden schließen wollen. Das ist das Dilemma.

So frustrierend dieser Konflikt auch ist, möchten wir, die Emanzipative und Antifaschistische Gruppe (EAG), einem Staat zum Geburtstag gratulieren, deren Bewohner_innen trotz der grausamen Vergangeheit ihrer Vorfahren die Hoffnung auf ein sicheres, freies Leben nicht verlieren. Die Notwendigkeit eines Schutzraumes für Jüdinnen und Juden vor Antisemitismus ist noch lange nicht aufgehoben.

Für eine emanzipatorische Israelsolidarität!