Islamkritik, antimuslimisches Ressentiment und die verflixten Begrifflichkeiten

Redebeitrag der Autonomen Neuköllner Antifa auf der Demo gegen den Al Quds-Tag 2011

Es herrscht Verunsicherung und Verwirrung in- und außerhalb der deutschen Linken: Islamkritik, Islamophobie, antimuslimischer Rassismus – das sind die Schlagworte, mit welchen in den aktuellen Debatten um Sarrazin, Pro Deutschland, Die Freiheit oder dem Blog PI News ausgiebig hantiert wird. Und doch entsteht nicht der Eindruck, als hätten sich sonderlich viele der Diskutant_innen näher mit den verwendeten Begrifflichkeiten, geschweige denn mit deren Inhalten auseinander gesetzt. Im Folgenden möchten wir nun deshalb einen kurzen, einführenden Beitrag zur Debatte um die Begriffsverwendung auf der Demo gegen den Al Quds-Tag 2011und um die Unterscheidung zwischen Islamkritik und antimuslimischem Ressentiment leisten.

Zur (Er-)Klärung der Begrifflichkeiten

Derzeit kursieren im Wesentlichen drei verschiedene Alternativen, die versuchen das Phänomen Islam- bzw. Muslimenfeindschaft begrifflich zu fassen: Islamophobie, antimuslimischer Rassismus und antimuslimisches Ressentiment. Weshalb wir uns für die Verwendung von letzterer, also dem antimuslimischen Ressentiment, entschieden haben, möchten wir kurz einleitend und aufgrund des hier begrenzten zeitlichen Rahmens zwangsläufig unvollständig darlegen:
Der Ausdruck Islamophobie wurde begriffsgeschichtlich bereits sehr früh für ideologische Zwecke vereinnahmt. Schon in den 1970ern verkam der Begriff im Iran zum Instrument islamischer Mullahs und Fundamentalisten. Er wurde benutzt, um innerislamische Kritik zu diskreditieren oder Verhalten zu diffamieren, das von den offiziellen Lehren und religiösen Vorgaben abwich.
Und auch heute noch wird er in der Praxis v.a. als politischer Kampfbegriff genutzt. Meist wird dabei nicht versucht real-existierende Ressentiments zu benennen, sondern sie mit tatsächlicher und somit legitimer Kritik an Islam und Islamismus gleichzusetzen. Beobachtet werden kann diese Verwendung dabei in verschiedenen Sphären: innerhalb der radikalen und nicht so radikalen Linken. In der internationalen Politik, bspw. innerhalb von OIC- oder UN-Resolutionen. Aber auch in gesellschaftlich-medialen Diskursen, die bishin in wissenschaftliche Bereiche vordringen – so bspw. in Person von Dr. Sabine Schiffer, deren vorgebliche Kritik an sogenannter Islamophobie schon längst purer Islam-Apologetik gewichen ist. Wer sich sachlich mit antimuslimischen Ressentiments auseinander setzen und ernsthafte Debatten darüber führen möchte, sollte sich also allein aufgrund der vorbelasteten Begriffsgeschichte und -verwendung nach Alternativen zum Ausdruck „Islamophobie“ umsehen.

Der Begriff „antimuslimischer Rassismus“ hingegen ist nicht derart negativ konnotiert. Er beschreibt aber das tatsächliche Phänomen des antimuslimischen Ressentiments nur unzureichend und trägt dazu bei den Rassismus-Begriff weiter in reiner Beliebigkeit zu ertränken. Der Hass auf Muslime ist nicht reduzierbar auf eine bloße, weitere Konstruktion des „Anderen“, nach welcher Muslime nun eben angeblich in einer Reihe mit „den Türk_innen“, „den Vietnames_innen“ oder „den schwarzen Drogendealern“ stehen.
Um die Unterschiede zu verstehen, hilft u.a. ein Blick auf konkrete Erscheinungsformen des antimuslimischen Ressentiments: so wird bspw. nicht, wie im klassischen Rassismus, der sexuell ausschweifende Wilde angeprangert, sondern, im Gegenteil, eine zu strikte Vorstellung von Sexualität. Explizit Bezug genommen wird dabei auch auf Homophobie und Sexismus. Des Weiteren finden sich bei antimuslimischen Ressentiments, im Gegensatz zum klassischen Rassismus, Versatzstücke von verschwörungstheoretischem Denken: so wird unermüdlich vor einer angeblich geplanten Islamisierung gewarnt. Diese wird in der Regel jedoch weniger als kluger und geschickt ausgetüftelter Plan imaginiert, sondern mehr mit einem angeblichen Geburten-Dschihad, also einer demografischen Islamisierung, in Verbindung gebracht.
Ein weiterer markanter Unterschied zu klassischen rassistischen Denkformen findet sich in den zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Bedürfnissen. Antimuslimische Ressentiments bedienen ein völlig anderes Themenfeld. So gehen sie bspw., gerade in Deutschland, eng einher mit einer vehementen aber erstaunlich offen instrumentell vertretenen philosemitischen und pro-israelischen Haltung, bei der Israel eine Brückenkopffunktion zugeschrieben wird, um das sogenannte christlich-jüdische Abendland zu verteidigen. Die philosemitische Komponente dient dabei v.a. der deutschen Schuldentlastung: der aktuelle Antisemitismus ist nicht mehr in Deutschland, sondern im Islam zu finden. Praktischerweise kann sich der deutsche Michel durch die halluzinierte drohende Islamisierung so selbst in eine Opferrolle stellen. Die Täter_innenvergangenheit kann dann, so die große Hoffnung, endlich abgelegt werden, da man ja auch an der Seite der Jüdinnen und Juden kämpft.

Der Begriff „antimuslimisches Ressentiment“ bietet nun sämtliche Voraussetzungen um damit sachlich arbeiten zu können: er berücksichtigt die Spezifik des Phänomens, er benennt die Betroffenen und er impliziert durch den Begriff „Ressentiment“ die gefühlsgeladene Komponente und die faktische Aufklärungsresistenz der muslimenfeindlichen Akteur_innen.

Ressentiment vs. Kritik

Nachdem nun geklärt ist, weshalb wir uns für den Begriff „antimuslimisches Ressentiment“ entschieden haben, kommen wir zu einer daran anknüpfenden Frage, der immer häufiger begegnet wird: „Ab welchem Punkt wird legitime Kritik am Islam eigentlich rassistisch?“ Wird die Begriffsdebatte mal kurz außen vor gelassen, ist die Antwort zunächst reichlich simpel: „Gar nicht, denn rassistische Kritik ist per definitionem keine!“ Was dadurch aber offenbar für viele noch immer nicht klarer wird: „Woran erkenne ich denn nun den Unterschied zwischen Kritik und Ressentiment?“

Hierbei hilft z.B. ein Blick in die einschlägigen Blogs wie PI News und Konsorten. Tatsächlich werden hier oftmals reale Gegebenheiten und aktuelle Vorkommnisse aufgegriffen. Problematisch wird es aber spätestens dann, wenn sich ein wenig mit dem auseinander gesetzt wird, wie das geschieht: es findet eine stark selektive Auswahl der behandelten Themen statt, die letztlich nicht dazu dient ein Abbild der Realität zu erschaffen, sondern diese aktiv ins Negative zu verzerren.
Ein etwaiger Migrationshintergrund, bspw. bei Straftaten, wird in den Vordergrund gerückt und unzulässig mit Religion verknüpft, sprich: wer einen arabischen Background hat, muss zwangsläufig auch Muslim sein. Gleichzeitig dient die Zuschreibung dieser unterstellten religiösen Überzeugung dann auch als alleinige Ursache der Straffälligkeit.
Gewalttätige, reaktionäre Ideologien, die von bestimmten islamischen Strömungen vertreten werden, seien es nun politisch-islamistische oder religiös-fundamentalistische, werden nicht als Strömungen kritisiert, sondern es wird auf generalisierende und essentialisierende Art und Weise ein angeblich von Grund auf böses Wesen des Islam konstruiert. In Folge gibt es dann auch keine moderaten Muslime_a, sondern Menschen mit muslimischem Glauben werden ganz grundsätzlich kulturalistisch als Islamisten abgestempelt.

Aber wie hat nun eine emanzipatorische Islamkritik auszusehen? Natürlich können und müssen menschenverachtende und reaktionäre Strömungen und Ideologien, sowie ihre jeweilige Stellung bzw. ihr Einfluss innerhalb des Islam entsprechend benannt und kritisiert werden. Dennoch darf hier weder eine Generalisierung, noch eine Essentialisierung mit einher gehen oder gar ein „Wesen des Islams“ halluziniert werden. Eine analytische und begriffliche Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus ist notwendig, ohne dabei jedoch Zusammenhänge zu ignorieren: selbstverständlich liefern Islam und Koran ideologische Rechtfertigungen für radikale und reaktionäre Ausformungen. Dies liegt u.a. an der grundsätzlichen Interpretierbarkeit religiöser Schriften und ist auch in jeder anderen Religion zu finden. Diese Interpretierbarkeit ist jedoch auch Grundlage für die Möglichkeit und die Existenz islamischer Theologie, die gemäßigte und säkulare Strömungen zur Folge haben kann und hat. Last but not least kann es letztlich nicht darum gehen vermeintlich gute oder wenigstens bessere von schlechter Religion zu unterscheiden. Eine grundsätzliche Kritik an Religion ist also essentiell, denn wie wir spätestens seit Marx wissen, ist sie „die Voraussetzung aller Kritik“.

Abschließend bleibt zu sagen, dass sämtliche Themen hier nur grob angeschnitten werden konnten. Dennoch sollte die Stoßrichtung klar sein. In diesem Sinne geht auch ein herzliches „Fuck you!“ raus, an den sogenannten Anti-Islamisierungskongress , der dieses Wochenende in Berlin stattfindet. An die Pro-Bewegung, an die Freiheit, an PI und alle ähnlichen Grüppchen außerdem ein herzliches: „Nein, nein – das ist keine Kritik!“

Gegen antimuslimische Hetze!
Gegen Islamismus und Antisemitismus!
Solidarität mit Israel!