Bereits im März wurde bekannt, dass die Anmeldung für den diesjährigen Al Quds-Marsch am 30. April 2022 durch Berlin-Charlottenburg erneut zurückgezogen wurde. Eine Begründung für dieses Vorgehen steht von Seiten der organisierenden „Quds AG“ in Berlin weiterhin aus, sodass sich weiterhin die Frage stellt, ob die Absage einem möglichen Verbot des Marsches am Kurfürstendamm zuvorkommen wollten, die Pandemie oder andere organisatorische Gründe eine Rolle spielten, den Marsch zum dritten Mal in Folge nicht stattfinden zu lassen. Wie bereits in den vorherigen Jahren war aber festzustellen, dass sich einzelne Aktivitäten erneut in den digitalen Raum verlegten. So fand bereits am 23. April ein „Online-Quds-Tag“ für den deutschsprachigen Raum statt. Diese antiisraelische Online-Veranstaltung wurde von dem „Muslim-Markt“-Betreiber Javuz Özoğuz, der bereits als Parolen-Rufer bei früheren Quds-Märschen in Berlin aufgefallen war, auf einem YouTube-Kanal ausgestrahlt. Bei der Veranstaltung wurde ein Beitrag eingespielt, der symbolisch zwei Regimeanhänger*innen zeigte, wie sie auf dem Kudamm spazierten sowie weitere Einspieler von Veranstaltungen in Bochum, Delmenhorst und Hannover. [1]
Zeitgleich fanden an dem Wochenende jedoch auch auf den Straßen Berlins antisemitische Veranstaltungen statt. Als Anlass diente dabei erneut eine vorgeschobene Solidarität mit Palästina und die sog. „Israelkritik“, die sich wie bei einem Demonstrationszug am 23. April von Kreuzberg nach Neukölln, in der antisemitischen Gleichsetzung des demokratischen Israels mit dem nationalsozialistischen Deutschland oder in „Drecksjuden“-Rufen zeigt. Auch Pressearbeit wurde verhindert und Journalist*innen angegriffen. [2] Die zahlreichen Märsche in den vergangenen Wochen zeigen, dass es kaum einen Unterschied macht, ob die Versammlungen durch das iranische Regime, durch Netzwerke der islamistischen Hamas organisiert werden oder, wie bei der Demonstration am 23. April in vermeintlich linken Kreisen durch Initiativen wie „Palästina Spricht“ und mit ihnen verbundenen Gruppen mobilisiert wird. Der Anlass antisemitische Parolen auf die Straße zu tragen ist wie bei den aktuellen Auseinandersetzungen zu Ramadan um den Tempelberg – der eine wochenlange Terrorserie mit der Ermordung zahlreicher Israelis voran ging – weiterhin zweitrangig.
Eine für den gestrigen Abend geplante Versammlung wurde durch die Polizei neben einer Prognose bezüglich „volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen,Gewaltverherrlichung und Gewalttätigkeiten“ verboten, nachdem die Veranstaltenden bereits am 22. April zu einer Demonstration aufgerufen hatten, bei denen es zu antisemitischen Vorfällen kam. [3] Ebenso wurde in der Begründung darauf verwiesen, dass sich die Versammlung zu einer Ersatzversammlung des abgesagten Aufzugs zum Al Quds-Tag entwickeln könnte. [4]
Auch solche bereits gegen den eigentlichen Quds-Marsch angedrohten Verbote werden das Problem antisemitischer Zustände nicht lösen können. [5] Bereits in unmittelbarer Zukunft sollen rund um den sogenannten Nakba-Tag [6] am 14. und 15. Mai weitere Aufzüge und Kundgebungen in Kreuzberg und Neukölln stattfinden. Für den morgigen 1. Mai ist zudem wieder einmal mit der Instrumentalisierung politischer Kämpfe zu rechnen, wie bereits in den vergangenen Jahren, bei dem Gedenken an die rechten Morde in Halle und Hanau oder auch bei Veranstaltungen zu queeren und feministischen Kämpfen. So trägt beispielhaft der Aufruf zu einem Block bei der 18.00 Uhr Demonstration ab Herzbergplatz den Titel „Intifada ist unser Klassenkampf“.
Diesen Zuständen gilt es einen emanzipatorischen Antifaschismus entgegen zu setzen, dessen Verständnis auch über unser jährliches Bündnis hinaus gelten sollte. Antifaschismus bedeutet einzustehen für das Selbstverteidigungsrecht des Schutzraums von Jüdinnen*Juden, bedeutet Solidarität mit Israel gegen die alltäglichen Vernichtungsdrohungen. Es gilt innerhalb linker Diskurse eine emanzipatorische Kritik am politischen Islam und seinen Vertreter*innen zu formulieren. Ebenso an der deutschen Doppelmoral in den Kooperationen mit diktatorischen Regimen wie dem Iran, an islamistischer Agitation in Deutschland und Europa. Antifaschismus heißt auch, sich all dem in den Weg zu stellen, ohne scheinheilige Zurückhaltung im Sinne einer angeblich größeren linken Sache oder kulturrelativistischem Appeasement und muss somit eine Aufgabe der gesamten radikalen Linken sein. Dabei stehen wir sowohl an der Seite der Verfolgten und durch den politischen Islam Unterdrückten, die vor Ort ihr Leben für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung riskieren, als auch an der Seite derjenigen, die vor Gewalt und Terror geflohen sind.
Auch abseits des Al Quds-Tages gilt es alltäglich dem Patriarchat, dem rassistischen und antisemitischen Normalzustand den Kampf anzusagen!
[1] Vgl. zusammenfassender Beitrag von Kazem Moussavi zum 23.04.2022 https://www.facebook.com/photo/?fbid=10160087844095762&set=ecnf.634625761
[2] Vgl. Video von democ. Zentrum Demokratischer Wiederspruch zu den Versammlungen am 22. und 23.04.2022 https://www.youtube.com/watch?v=YejdjOT6ybE
[3] Vgl. Video vom JFDA – Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus zu den Versammlungen am 22. und 23.04.2022 https://www.youtube.com/watch?v=h-4EqyH84WY
[4] Vgl. Berichterstattung des rbb zu der verbotenen Versammlung am 29.04.2022 und Folgetagen https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/04/verbot-pro-palaestinensische-demonstrationen-1-mai-cablitz-jendro-berlin.html
[5] Vgl. Beitrag „Verbotsdebatte um den Quds-Marsch geht in die nächste Runde“ https://www.antifa-neukoelln.net/index.php/2022/03/29/verbotsdebatte-um-den-quds-marsch-geht-in-die-naechste-runde/
[6] Vgl. Bündnispublikation zu der Einordnung der sogenannten Nakba-Demonstrationen https://keinalqudstag.noblogs.org/material/nakba-tag/